Plano Piloto
Ort: São Paulo, Casa do Zelador auf dem Dach des Edifício Copan von Oscar Niemeyer
Requisiten: Ein Arbeitstisch, zwei Scheinwerfer, eine tropische Topfpflanze,
Vogelkäfig mit einem Pärchen Zebrafinken, ein Radio, das leise spielt,
eine Karte und Entwurfszeichnungen von Brasília, ein Modellsegelflugzeug aus Sperrholz,
Werkzeug, fünf Stühle
Akteure: Assistent (Rick Lévy), Konstrukteur (Reinaldo Rodrigues)
A und B (wechselnde Besucher)
Die Besucher nehmen auf den Stühlen Platz und der Assistent macht sie mit ihren Rollen A und B vertraut.
Sie treten an den Tisch des Konstrukteurs und der Assistent reicht ihnen Textkarten mit Anweisungen zum Vortrag.
A: (zum Konstrukteur) Wir sind keine Maulwürfe, wir sind Fledermäuse.
Wir werfen einen Ton in den Raum und lauschen auf das Echo der Dinge, die ihn zurückwerfen.
Der Konstrukteur beugt sich weiter über seine Arbeit.
B: Wir können nicht nicht kommunizieren.
Sobald zwei oder mehr Personen in einem Raum zusammenkommen, kommunizieren sie miteinander.
Alles Verhalten ist Kommunikation.
A: Na gut, das heißt lediglich, dass wir kommunizieren, aber sagt nichts darüber aus, ob es auch funktioniert.
Kommunikation ist ein Problem. Erstens ist es unwahrscheinlich, dass Du überhaupt verstehst, was ich meine.
Wir sind verschieden.
Sinn kann nur kontextbezogen verstanden werden und Kontext ist für jeden erst mal sein eigenes Gedächtnis.
Zweitens kann Kommunikation daran scheitern, dass der Empfänger nicht erreichbar ist.
B: Oder keine Lust hat. In anderen Situationen haben Leute halt etwas anderes zu tun.
(zum Konstrukteur)
Hörst Du überhaupt zu?
Der Konstrukteur ignoriert die Frage und bastelt weiter.
A: Die dritte Unwahrscheinlichkeit liegt im Erfolg von Kommunikation.
Kommunikation gelingt erst, wenn die Botschaft ankommt, das heißt, Denken und Handeln des Empfängers verändert.
B: Wie entmutigend.
Warum sollte ich mich überhaupt auf einen Kommunikationsversuch einlassen, wenn so ungewiss ist, ob ich die Leute erreiche?
A: Warum? Na ja, ohne Kommunikation bilden sich nun mal keine sozialen Systeme.
B: Das Medium der Selbstzivilisierung ist die menschliche Sprache.
Jedes Sprechen hat ein Ziel, das „Telos der Verständigung“.
A: Genau. Kommunikation unterbricht den Kriegszustand der Welt.
B: (wendet sich an den Konstrukteur) Was ist das Allerwichtigste, das Du in diesem einzigartigen Moment sagen könntest?
Der Konstrukteur lehnt sich im Stuhl zurück. Er nimmt seine Brille ab und fixiert die Besucher zum ersten Mal.
Konstrukteur: Ich muss arbeiten. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Ich will das Ding fliegen sehen.
Der Assistent führt die Besucher hinaus.
Plano Piloto
X-Moradías, São Paulo 2009
In Architekturzeitschriften sieht die Wirklichkeit anders aus. Größer, weiter, aufgeräumter, leerer oder nur bevölkert von den richtigen Statisten. In Architekturzeitschriften werden Geschichten erzählt, die in Wirklichkeit ein bisschen anders sind. In der Spannung dazwischen, in der Grauzone zwischen Darstellung und Wahrnehmung, dem unkontrollierbaren Ungefähr zwischen Sender und Empfänger zwischen Glaubenmachen und Glaubenwollen entwickeln sich interessante Phänomene.
Die Hauptstadt Brasiliens, Brasília, wurde vom Städteplaner Lucio Costa wie der Schatten eines Flugzeugs über dem Urwald angelegt, heißt es. Die Regierungsgebäude im Cockpit, Industrie in den Flügeln, Wohngebiete im Rumpf. Darauf befragt widerspricht Costa. Vielmehr hbe Präsident Juscelino Kubitschek den Ort der künftigen Hauptstadt auf der Landkarte mit einem Kreuz markiert. Er, Costa, habe lediglich die beiden Striche als Hauptverkehrsachsen adaptiert und den Gegebenheiten des Geländes angepasst. Trotzdem: verblüffend, diese Ähnlichkeit.
Unseren Beitrag für X-Moradías (X-Wohnungen) siedelten wir in dem leerstehenden Penthaus des Hausmeisters auf dem Edifício Copan an, entworfen vom Costa-Schüler Oscar Niemeyer. Während Brasília, als ideale Stadt entworfen an der Starrheit seines Plans scheitert, führt São Paulos Planlosigkeit ins Chaos. Vom städtebaulichen Wildwuchs eingekeilt, zählt die Sinuskurve des Copan (1951-1966) zu den markantesten Architekturikonen der Stadt. Der Bau mit 1.160 Wohnungen und über 5.000 Bewohnern, 72 Läden, Bars, Cafés und Restaurants, Beauty Salons, Bekleidungsgeschäften und einem zur Kirche umfunktionierten Kino hat seine eigene Postleitzahl, ist die größte Stahlbeton-Konstruktion Brasiliens und das größte Wohnhaus Südamerikas.
Hierher gelangten Besucher, die den Parcours von X-Moradías paarweise durchliefen. Mit dem Lift ging es durch Gänge und über Treppen, vorbei an der Funken sprühenden Telefonanlage aufs Dach. Hier verliert sich das Häusermeer nach allen Seiten hin im Dunst des Horizonts. Im von Scheinwerfern erleuchteten Penthaus, dem Casa do Zelador, treffen sie auf den Konstrukteur, der zwischen Plänen und Karten die Zeichnungen Lucio Costas von Brasília in das Modell eines Segelflugzeugs übersetzt. Zwischen Werkzeugen und Leim, einer tropischen Pflanze, Zebrafinken-Paar und einem laufenden Radio nehmen die fragilen Flügel aus Sperrholz mit einer Spannweite von 180 cm Gestalt an. Rumpf und Cockpit werden aus einem massiven Holzklotz gefeilt. Über die 5 Tage währende Veranstaltung gewinnt der Plano Piloto Brasílias eine dreidimensionale Gestalt.
Plano Piloto
Kunstpalais, Erlangen 2010