Haufen
Das Müllprojekt, Recyclinghof St.Pauli Hamburg 2017
„Der Kot ist nämlich das erste Geschenk, ein Teil seines Körpers, von dem sich der Säugling nur auf Zureden der geliebten Person trennt, mit dem er ihr auch unaufgefordert seine Zärtlichkeit bezeigt, da er fremde Personen in der Regel nicht beschmutzt.“ (Sigmund Freud)
2016 stießen Dellbrügge de Moll auf die Möglichkeit, ein Abrisshaus in ein Kunstwerk zu transformieren. Statt den Schutt auf der Deponie zu entsorgen, wird er gereinigt, in unterschiedlichen Gesteinskörnungen als Zuschlagstoff dem Beton beigefügt und ersetzt damit die üblichen Primärrohstoffe Sand und Kies. Erste Versuche mit Recyclingbeton führten Dellbrügge de Moll Anfang des Jahres 2017 durch.
Mit der Einladung zum Müllprojekt trafen sie in Hamburg auf eine weitere Materialentwicklung: Hausmüll wird zu Baustoff. Aktuell betreibt die Stadtreinigung Hamburg mit der FBH Frischbeton Hamburg GmbH und anderen Partnern ein Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, in dem Müllverbrennungsschlacke gewaschen und von Metallen und sonstigen Störstoffen getrennt wird. Den so gewonnenen Ersatzbaustoff haben Dellbrügge de Moll für
ihren Beitrag eingesetzt. Die Künstler machten einen Haufen.
„Im Unbewussten sind Juwelen, ebenso wie Exkremente verfluchte Stoffe, die aus einer Wunde fließen, Teile von einem selbst, die zu einem ostentativen Opfer bestimmt sind.“ (Georges Bataille)
aus: Das Müllprojekt, HerausgeberInnen: Anke Haarmann, Harald Lemke, Nana Petzet, Hamburg 2017
Prima Materia
Gereinigte Müllverbrennungsschlacke
Städtische Galerie Kirchheim unter Teck, 2019
Zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung ist bis zu einem gewissen Grad eine Übereinstimmung erforderlich, was einen Wert hat und was nicht. Ein Kontrollmechanismus weist den Dingen in der Hierarchie zwischen Dauerhaftigkeit und Vergänglichkeit einen Platz zu. In der Grauzone dazwischen liegt der Abfall. Abfall ist gesellschaftlich definiert. Innovation, Kreativität und sozialer Druck können die Grenze zwischen Abfall und Nicht-Abfall verschieben. Diesen Spielraum, der in der Regel der gesellschaftlichen Spitze vorbehalten ist, gilt es zu erobern.
Michael Thompson: Mülltheorie, 1979
Die mittelalterliche Alchemie spricht von einer Ursubstanz, der prima materia, die sich in einem Prozess der Verwandlung und Reinigung zu edleren Produkten umformen lässt. Als besonders aussichtsreich für die Transformation galten nichtige Substanzen wie Staub, Schlamm, Erde, Tau, Blut, Speichel, Sperma, Kot und Harn. Dellbrügge de Moll gehen von der Idee der prima materia aus und wenden sie auf menschengemachte Stoffe wie Müll und Schutt an, Ressourcen, die wachsen statt zu schwinden.
Die Galerie im Kornhaus steht im 40. Jahr ihres Bestehens vor einer Sanierung, die eine langjährige Schließung des Galerieraums mit sich bringt. Dellbrügge de Moll initiieren eine Ausgleichsfläche, die von der Galerie für die Dauer ihrer Unbehaustheit ersatzweise genutzt werden kann. In den Maßen des Ausstellungsraums entsteht im Bürgerpark eine Fläche aus verdichtetem Schutt von Abrisshäusern.
Den Boden der Galerie im Kornhaus bedecken Dellbrügge de Moll mit gereinigter Müllverbrennungsschlacke. Müllverbrennungsschlacke ist der Rest, der von unserem Hausmüll nach dem Verbrennen übrig bleibt. In gereinigter Form wird er zum Produkt und kann als Ersatzbaustoff natürliche Rohstoffe ersetzen. Die Intervention stimmt auf die Entkernung und den Umbau der Galerie ein.
aus der Publikation zur Ausstellung „Prima Materia“, Städtische Galerie im Kornhaus, Kirchheim unter Teck 2019